von Hans Joachim Bannier

Immer wieder einmal begegnet uns die Frage, was denn der Unterschied sei zwischen Pflaumen, Zwetschgen und Reneclauden. Andere sind sich sicher, dass Reneclauden immer grün seien, Pflaumen immer rot und Zwetschgen immer blau.

Prunus domestica!

Die Wahrheit ist: Botanisch sind Pflaumen, Zwetschgen und Reneclauden und Mirabellen dieselbe Baumart, nämlich Prunus domestica und sind untereinander jederzeit kreuzbar. Auch können sie alle auf ein- und denselben Baum aufveredelt werden. Letztlich sind alle diese Bezeichnungen nur Bezeichnungen für die verschiedenen Sorten einer einzigen Baumart.

Zwetschge (Zwetsche), Pflaume?

Zwar stimmt es, dass im deutschen Sprachraum das Wort Zwetschge (oder Zwetsche, je nach Region) tendenziell eher für die länglichen blauen Früchte verwendet wird und das Wort Pflaume tendenziell eher für die dickeren rundlicheren Früchte. Aber letztlich ist die Benennung der einzelnen Sorten immer im Belieben derjenigen gewesen, die die Sorten entweder als Zufallssämlinge gefunden (und dann vermehrt) haben oder sie gezielt gezüchtet haben.

Reneclauden (Renekloden)?

Und was hat es mit den Reneclauden auf sich?

Rene-Claude, zu deutsch ‘Königin Claudia’: diesen Namen gab man einer Pflaumensorte zu Ehren der ersten Gemahlin Franz’ I. von Frankreich (1499–1524). Edle Früchte waren damals noch etwas ganz Besonderes, und den Herrschenden gereichte es zur Ehre, wenn eine Obstsorten nach ihnen benannt wurde (man denke nur an die deutsche Apfelsorte ‘Kaiser Wilhelm’).

Inzwischen ist aus der Sorte Reine Claude ein Begriff geworden, und gibt es nicht nur “die eine” Rene-Claude, sondern zahlreiche Reneclaudensorten: die bekanntesten bei uns sind  Große Grüne Reneclaude, Althans Reneclaude und Oullins Reneclaude. Die letztere – gelbfarbig – kann man wiederum von der gelben Ontariopflaume ebenso schwer unterscheiden wie die (blaurötliche) Althans Reneclaude von ähnlich aussehenden Pflaumensorten.

Und ob ein Züchter seine (als Zufallssämling gefundene oder durch aktive Kreuzungszüchtung gewonnene) neue Sorte nun ‘Pflaume’, ‘Zwetschge’ oder ‘Reneclaude’ genannt hat, hatte wohl mehr zu tun mit Traditionsbewusstsein oder Eitelkeit des Finders bzw. Züchters als mit botanisch eindeutigen Zuordnungen.

So haben wir heute blaue, rote und gelbe Zwetschgen (z.B. Feys Gelbe Hauszwetschge), blaue, rote und gelbe Pflaumen, blaurote, gelbe und grüne Reneclauden etc.

Mirabellen?

Und wer denkt, dass die kleinen rundlichen Früchte immer ‘Mirabellen’ heißen müssen, hat sich auch getäuscht: So sind z.B. die Früchte der (blauen) ‘Rivers Frühen Zwetschge’ oder die Früchte der frühreifenden blauen ‘Erntepflaume’ in Wirklichkeit nicht größer als unsere gängigen Mirabellen!

Spillinge?

Um die Verwirrung noch komplett zu machen: Zu alledem gab es – heute nur noch in bestimmten Regionen Deutschlands bekannt – auch noch Spillinge (meist gelb, länglich) und dann noch die verschiedenen, auch heute noch vorkommenden Wildpflaumen, die sich untereinander noch einmal in verschiedene Typen aufteilen:

  • von den blauen Kriechelpflaumen (westfälisch: Kraiken),
  • über die Zibarten,
  • bis zu den – noch sehr häufigen – Kirschpflaumen (Myrobalanen), welche meist gelb oder rot fruchten und von Laien gern mit Mirabellen verwechselt werden (sie unterscheiden sich aber durch ihre saure Fruchtschale, außerdem blüht der Baum deutlich früher als andere Wild- oder Kulturpflaumen).
  • Und schließlich noch die Schlehe: auch die ist mit der Pflaume botanisch ganz eng verwandt und könnte theretisch mit dieser gekreuzt werden (nur dass die Schlehe meist eher blüht als unsere Pflaumen).

Damaszenerpflaume?

In der alten Literatur (und in den Balkanländern auch noch heute) begegnet man den Damaszenerpflaumen, und auch das ist keine botanisch verschiedene Art, sondern deutet lediglich darauf hin, dass man früher davon ausging, dass die Pflaume einst aus Kleinasien stammte, aus Damaskus!

Die neuen Sorten: groß und relativ geschmacklos

Von der Pflaumensorten-Vielfalt früherer Zeiten können wir heute nur noch träumen, denn der Großhandel bietet sie schon seit Jahrzehnten nicht mehr an. Warum? Weil Pflaumen von Natur aus nicht wochenlang halten, sondern – manche Sorten schneller, manche langsamer – mit zunehmender Reife weicher werden und oft dann, wenn sie am aromatischsten schmecken, für Transport und Lagerung im warmen Laden schon zu weich und empfindlich sind.

Also pflücken die Obstbauern ihre Pflaumen meistens halbreif, damit sie die Transport- und Lagerwege optisch schadlos überstehen – leider nur unter Verlust ihrer Geschmacksqualität. Und die Züchter sind inzwischen seit mehreren Jahrzehnten “großhandelstaugliche” Pflaumen bzw. Zwetschgensorten zu züchten, was in freier Übersetzung heißt: Die Früchte müssen groß und schön sein, fest sein, nicht druckempfindlich und wochenlang haltbar – schließlich will der Handel nicht nur im Herbst, sondern am besten ganzjährig Pflaumen anbieten und so kauft er die Früchte eben im Frühjahr aus Argentinien, Südafrika oder Australien ein.

Das haben die Züchter nun auch schon wirklich fast perfekt hinbekommen. Nur: Schmecken tun diese manchmal riesigen Früchte, die da ganzjährig im Regal liegen, meist nicht mehr. Allenfalls wenn die gute alte Hauszwetschge Ende August bis Mitte September mal noch den Weg ins Supermarkt-Regal findet, kann man hoffen, dass diese von den Obstbauern nicht zu früh gerupft wurden und einen guten Kuchen abgeben.