Bielefeld, Juni 2022
Liebe Obst-Interessierte,
endlich können wir in Sachen Süßkirschen mal aus dem Vollen schöpfen: Viele der historischen “alten” Kirschsorten, von denen wir im Obst-Arboretum einige zur Sortenerhaltung auf Einzelbüschen kultiviert haben, fallen in ihrer Fruchtreife in die 3.   Kirschwoche und sind jetzt reif. Auch das Wetter war uns in Sachen Kirschernte bisher gnädig und hat nur in geringem Maß Früchte platzen lassen. Diese Sorten gehören noch zu den zwar weichen, aber oft aromatischeren Frühsorten (den sog. “Herzkirschen”), während die festeren, sog. “Knorpelkirschen”, erst ab der 4. Kirschwoche folgen.
Nicht nur am heutigen Freitag im Hofladen, sondern auch die Woche über in der ‘Obsthaltestelle’können wir daher Kirschen anbieten!
Vor allem bieten wir auch diverse helle Kirschen an (die sogenannten “Glaskirschen”), die zwar vielen Menschen kaum noch geläufig sind, die aber verschiedene Vorzüge aufweisen (beschrieben in dem der letzten E-mail beigefügten Artikel!). Kaum bekannt ist, dass diese sog. “Glaskirschen” auch von Allergikern meist besser vertragen werden als die dunklen (schwarz-roten) Kirschen (auch sind sie verträglicher und machen auch bei hohem Konsum weniger Bauchweh als die dunklen…).
Daneben werden sie auch von Vögeln weniger bevorzugt als die dunklen Kirschen. Diesbezüglich scheinen die Vögel sozusagen “genauso dumm” zu sein wie die Menschen, die meinen, nur eine dunkle Kirsche würde schmecken…
Wer Kirschen erntet und für den Frischverzehr ein paar Tage länger etwas von ihnen haben will, sollte grundsätzlich mit Stiel pflücken. Lagert man anschließend die (ausschließlich unbeschädigten!) Früchte in Gläsern im Kühlschrank, halten auch Süßkirschen erstaunlich lange!
Will man die Früchte dagegen (z.B. für Marmelade) verarbeiten, kann man sie natürlich ohne Stiel pflücken. Auch die aufwändige Prozedur des Entsteinens kann man abkürzen, indem man die Früchte (inklusive Fruchtsteine) einmal kurz erhitzt und die Fruchtmasse anschließend durch ein grobmaschiges Sieb reibt – die Fruchtsteine bleiben dann zurück! Alternativ verwenden wir auch unsere Napfkisten für diese Prozedur (durch deren Löcher passen die Kirschsteine ebenfalls nicht durch).
Fakt ist, dass “alte” Kirschsorten weitaus besser für die Verarbeitung geeignet sind als die zwar großfrüchtigen und saftigen, aber letztlich deutlich weniger aromatischen Kirschen des heutigen Erwerbsobstbaus. Auch die Obstbrennereien in Süddeutschland verwenden für ihren Kirschbrand spezielle aromatische (und eher kleinfrüchtige) Sorten (wie z.B. die Sorte ‘Dolleseppler’). Auch Wildkirschen ergeben oft eine bessere Marmelade und einen besseren Brand (oder auch ‘Aufgesetzten’ Likör) als manche Edelsorte, sind nur leider doch ziemlich aufwändig in Ernte und Verarbeitung!
Wer echten ‘Kirschsorten-Tourismus’ betreiben möchte, dem empfehle ich einen Ausflug nach Hagen am Teutoburger Wald (nahe Osnabrück). In der einstigen “Kirschgemeinde” (die bis in die 1960er Jahre die Märkte in Osnabrück und Münster mit Kirschen versorgt hat) ist von 2004-2012 die größte Kirschsorten-Genbank Deutschlands aufgepflanzt worden – rund 365 Hochstämme mit insgesamt ca. 300 verschiedenen Kirschsorten aus ganz Deutschland. Ein Teil der Kirschbäume ist bereits namentlich ausgeschildert und “Naschen” ist dort erlaubt. Kleine Sortenproben mittels Teleskop-Apfelpflücker zu naschen dürfte wohl ebenfalls noch o.k. sein (besser als Äste herunterzureißen!!), Abernten mit Leiter und Eimern ist dort dagegen nicht mehr erlaubt.
Die Hagener Kirschbäume werden seit 2004 von uns geschnitten, nach einem speziellen, auf Kirschbäume abgestimmten Schnittsystem, das jegliche Wunden an Stamm und Hauptästen der Bäume vermeidet. Die Bäume danken diese Baumerziehung mit einem deutlich kräftigeren Wachstum und einer höheren Vitalität. Die ältesten, 2004 gepflanzten Bäume würden selbst von Fachleuten eher auf 40 als auf 22 Jahre geschätzt werden (dazu vielleicht ein anderes Mal mehr). Die jungen Kirschbäume, die noch wachsen sollen, werden dabei ausschließlich im Winter geschnitten; haben sie ihre Zielgröße erreicht und füllen ihren Standraum aus, kann man auch in den Mittsommerschnitt wechseln und sie in dem Moment schneiden, in dem die Früchte reif sind – und auf diesem Wege nebenbei die mühsame Ernte etwas vereinfachen. So ist das im einstigen Hochstamm-Obstbau vielerorts gemacht worden. Durch die wuchsbremsende Wirkung des Sommerschnitts hat man damit auch die Kronengröße auf die gewünschte Größe begrenzen können.
Noch eine Nachbemerkung zur diesjährigen Kirschernte in Ostwestfalen: Im Streuobst ist in diesem Jahr zu beobachten, dass auch die später reifenden Kirschsorten, deren Früchte bei fehlenden Gegenmaßnahmen sonst oft teilweise von der Made der Kirschfruchtfliege betroffen sind, in diesem Jahr an vielen Standorten madenfrei sind. Das gilt zumindest für alle die Kirschstandorte, in denen im letzten Jahr die Kirschernte aufgrund von Blütenfrost ausgefallen war. Wenn es ein Jahr gar keine Kirschen gibt, kann sich auch die Kirschfruchtfliege nicht vermehren und ihre Population bricht zusammen.
Herzliche Grüße
Hans-J. Bannier (+ Simon Avenwedde u. Heidi Teichert)

Obst-Arboretum Olderdissen
Alte Obstsorten – Obstbaumschnitt – Obstsortenbestimmung
Dornberger Str. 197
33619 Bielefeld
Tel.0521-121635
Hofladen: Freitags 12-19 Uhr
Obsthaltestelle: Täglich 8-20 Uhr