Interview der Rheinischen Post mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Bergischen Streuobstwiesenverein e.V.

Das Interview führte Wolfgang Weitzdörfer für die Rheinische Post mit Rolf Meyer und wurde am 4.1.2021 veröffentlicht

 

Herr Meyer, was sind die charakteristischen Merkmale einer Streuobstwiese?

Rolf Meyer: In erster Linie ist die extensive Nutzung charakteristisch, und es werden weder  mineralische Düngung noch biologisch schädliche Herbizide und Pestizide verwendet. Die Bäume sind meist hochstämmig und stehen in größerem Abstand zueinander. Dadurch können sich sehr viel Unterbewuchs und unterschiedliche Tiergemeinschaften entwickeln. Die Diversität auf einer Streuobstwiese ist sehr groß und hat eine hohe ökologische Wertigkeit.

Sie bewirtschaften mehrere solcher Streuobstwiesen in Wermelskirchen?

Meyer: Ja, ich bewirtschafte zwei Wiesen in Wermelskirchen – den Streuobstsortengarten in Sellscheid und die Wiese in Eipringhausen. Beide sind jeweils etwa einen Hektar groß. In Eipringhausen stehen  etwa 40 Bäume. Daran kann man sehen, dass ausreichender Platz ein wichtiger Faktor für die Anpflanzung auf einer Streuobstwiese ist, besonders, wenn man sich später eventuell einmal für eine Unternutzung entscheidet – etwa als Schafsweide.

Welche und wie viele Obstbäume sind dort angepflanzt?

Meyer: In Sellscheid habe ich verschiedene Sorten stehen, darunter auch seltene alte regionale – etwa 30 unterschiedliche stehen dort. Darüber hinaus wird dort hauptsächlich die Apfelsorte Prinz Albrecht von Preußen angebaut – sie eignet sich sehr gut für die Herstellung von Apfelsaft. Ich möchte auf diese Weise zum einen mit vielen unterschiedlichen Sorten die genetische Vielfalt erhalten, zum anderen aber auch eine gewisse Wirtschaftlichkeit im Streuobstanbau erreichen. Das geschieht eben durch die Auswahl einer für die Saftverarbeitung gut geeigneten Sorte. In Eipringhausen stehen nur Bäume der Sorte Gewürzluiken, die ergeben auch einen guten Apfelsaft.

Was braucht man, um eine Streuobstwiese anzulegen?

Meyer: Motivation und die Bereitschaft, Einiges an Zeit für dieses Hobby zu investieren. Dazu sollte man wissen, wie man die Bäume richtig pflegt und schneidet. Das kann man erlernen. Man sollte auch keine Scheu haben, bei jedem Wetter im Freien zu arbeiten, aber das hält ja auch fit.

Wo kann man das nötige Handwerk erlernen?

Meyer: Der Verein bietet beispielsweise solche Kurse an. Wann sie stattfinden, weisen wir auf unserer Internetseite darauf hin. Auch die Biologische Station Rhein-Berg veranstaltet Fortbildungen. Man kann das Handwerk aber auch in Form einer zwei- bis dreijährigen Ausbildung mit Wochenendseminaren und einer Abschlussprüfung erlernen.

Was ist der große ökologische Vorteil dieser Art des Obstanbaus?

Meyer: Zum einen ist es ein Anbau, der einen regionalen Markt bedient. Der weite Transport fällt also fast komplett weg. Durch den Verzicht auf Schädlingsbekämpfungs- und Pflanzenschutzmittel wird die Umwelt geschont. Insektenhotels im Umfeld der Wiesen fördern zusätzlich die Insektenpopulation. An den Bäumen hängen wir Vogelhäuschen auf, denn Vögel sind die besten natürlichen Schädlingsbekämpfer. Auf den Wiesen kommen Marder vor, die den Wühlmäusen nachstellen. Wühlmäuse sind auch Nahrung für die Greifvögel, für die wir Sitzstangen aufstellen. Und so setzt sich das fort. Es ist eine sehr differenzierte Tiergemeinschaft, die da entsteht.

Kann es mehr als nur eine „Liebhaberei“ sein – etwa in wirtschaftlicher Hinsicht?

Meyer: Ohne eine wirtschaftliche Denkweise funktioniert das auf Dauer nicht. Der Verein hat sich die Förderung der Streuobstwiesen zum Ziel gesetzt. Und das kann langfristig nur umgesetzt werden, wenn wir auch Landwirte davon überzeugen können, dass Streuobstwiesen einen wirtschaftlichen Nutzen erbringen. Nur dann kann sich eine gewisse Eigendynamik entwickeln.

Wie viele Streuobstwiesen gibt es in Wermelskirchen – und wer betreibt sie?

Meyer: Das sind einige. Sie sind allerdings noch nicht alle kartiert. Das NRW-Landwirtschaftsministerium wollte das für das ganze Land machen, aber das ist noch nicht abgeschlossen. Keiner weiß also genau, wie viele Wiesen, auch kleinere, es eigentlich in Wermelskirchen gibt. Das Hauptproblem ist aber, dass es nicht genug Menschen mit ausreichendem Fachwissen gibt, um die vorhandenen Wiesen auch zu pflegen. Denn, wie gesagt, es ist eine aufwändige Arbeit. Wenn mehr Leute die Pflege von Streuobstwiesen zu ihrem Hobby erklären würden, dann würde das sehr viel bringen.

Ist das auch ein Ziel Ihres Vereins?

Meyer: Ja, das ist ein Kernziel und das Nadelöhr. Die Ausbildung von Obstbaumwarten, die in der Lage sind, die Bäume fachgerecht zu pflegen und zu schneiden, liegt uns sehr am Herzen. Auch die Biologischen Stationen versuchen derzeit – wie schon erwähnt – , eine eigene Ausbildung im Bergischen Land dafür auf die Beine zu stellen.

Sind Streuobstwiesen Konkurrenz oder Ergänzung für den konventionellen Obstanbau?

Meyer: Also, eine Konkurrenz ist das nicht. Denn die wirtschaftlichen Möglichkeiten werden im Moment noch nicht so genutzt, wie es eigentlich möglich wäre. Das kann sich aber in der Zukunft ändern. Wenn man viele Bäume mit hochwertigen Apfelsorten auf Streuobstwiesen anpflanzt und daraus einen ebenso hochwertigen Saft herstellt, dann wird man ihn auch zu einem fairen Preis anbieten können. 

Wann kann man denn mit ersten Erträgen rechnen?

Meyer: Wenn man heute eine Wiese mit jungen, hochstämmigen Apfelbäumen anlegt, kann man damit rechnen, dass sie erst ab dem 15. Jahr nennenswerte Erträge liefern. Ab dem zehnten Standjahr gibt es in der Regel die ersten Äpfel zu ernten – damit man aber Saft herstellen kann, braucht man natürlich einen entsprechend großen Ertrag. Zeit und ein langer Atem sind wichtige Faktoren. Wenn man nun aber kleinere, mittelstark wachsende Bäume pflanzt, dann kann man auch nach sechs Jahren schon mit den ersten Erträgen rechnen.

Haben Sie selbst eine Lieblingsapfelsorte?

Meyer: Mein Lieblingsobst ist der Gravensteiner Apfel, eine Sorte aus dem 16. Jahrhundert. Der ist vom Geschmack her einzigartig. Wenn Sie den Gravensteiner sortenrein zu Saft pressen und dann recht frisch trinken, ist das ein sinnliches Erlebnis – ein Geruch nach frischgemähter Wiese und ein wunderbarer Geschmack. Allerdings ist er etwas schwierig zu halten – er braucht ein bestimmtes feuchtes Klima. In den vergangenen Jahren war das wegen der Trockenheit bei uns nicht so einfach.